Projekte

Neben der angewandten Forschung, d.h. der systematischen Recherche in den Sammlungen und der damit verbundenen Erstellung von Dossiers für den Rückgabebeirat, leisten die Mitglieder der Kommission für Provenienzforschung auch wesentliche Beiträge im Bereich der Grundlagenforschung. Digitalisierungs-, Editions- und spezifische Forschungsprojekte tragen zur Erweiterung des Kenntnisstandes rund um NS-verfolgungsbedingten Vermögensentzug, aber auch zur internationalen Vernetzung und Professionalisierung der NS-bezogenen Provenienzforschung sowie zur stärkeren Sichtbarmachung der Ergebnisse der Arbeit der Kommission für Provenienzforschung bei. Erfahren Sie hier mehr zu derzeit laufenden und auch bereits abgeschlossenen Projekten, die von der Kommission eigenständig oder in Kooperation mit PartnerInnen durchgeführt wurden/werden.

>> culture project der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Die unerhörten Dinge. Eine andere Art der Provenienzforschung
>> Lexikon der österreichischen Provenienzforschung
>> Online-Edition der Karteien zum sogenannten Zentraldepot für beschlagnahmte Sammlungen in Wien
>> Datenbank der Provenienzmerkmale
>> Der Kunsthandel im Spiegel der Ausfuhrformulare und Ausfuhrakten des Bundesdenkmalamtes 1938–1945 und die Rolle der Speditionen in diesem Kontext
>> Grundlagenforschungsprojekt zur „Arisierung“ der Wiener Uhren- und Juwelenbranche
>> TransCultAA – Transfer of Cultural Objects in the Alpe Adria Region in the 20th Century

culture project der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Die unerhörten Dinge. Eine andere Art der Provenienzforschung

„Die unerhörten Dinge“ erzählen von Unerhörtem und Ungehörtem: Es geht um geraubte Kunst- und Alltagsgegenstände aus ehemals jüdischem Besitz aus der Region. Auf Wochenmärkten in Altaussee und Bad Aussee kann das Publikum vier Frauen dabei zuschauen und zuhören, wie sie im Trubel des Marktgeschehens eine Radiosendung machen, die die Geschichten, die sich an diese Gegenstände knüpfen lassen, ins Zentrum rückt. Das Genre „Unterhaltungssendung“ eröffnet vielfältige Möglichkeiten, das Thema mit der nötigen Leichtigkeit zu transportieren: Interviews, Wunschkonzert, Live-Gesang, Kontakt mit Menschen am Markt, Aufrufe, Gewinnspiele, oder auch Interviews mit Expert:innen und Live-Gästen. Im Zentrum stehen dabei Gegenstände, die zuvor im Zuge einer Recherche entdeckt und ausgewählt wurden. Das Performance-Projekt lädt die Bewohner:innen und Besucher:innen des Salzkammerguts ein, sich mit NS-Raub, Provenienz und Restitution, mit Fragen des Verlusts, dem emotionalen Wert von Dingen und der Erinnerung oder Nicht-Erinnerung, auch mit dem jahrzehntelangen Schweigen auseinanderzusetzen – auf ungewöhnliche Art und Weise.

Projektlaufzeit: 2019 bis 2024 (Idee, Konzeption und Projektentwicklung), die Theaterperformances fanden im August und September 2024 statt, weitere Vorstellungen sind geplant
Finanzierung: Salzkammergut 2024 Kulturhauptstadt Europas, Kommission für Provenienzforschung
Projektteam: Ein Projekt des Theater im Bahnhof (Graz) mit Monika Löscher (Kommission für Provenienzforschung) und Birgit Johler (Volkskundemuseum am Paulustor, Universalmuseum Joanneum) im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024. Nach einer Idee von Monika Löscher.
Zu den Websites des Projekts: www.salzkammergut-2024.at/projekte/die-unerhoerten-dinge, www.theater-im-bahnhof.com/de/production/die-unerhoerten-dinge


 

Lexikon der österreichischen Provenienzforschung

Basierend auf dem von Pia Schölnberger und Leonhard Weidinger entwickelten Konzept bündelt das Lexikon der österreichischen Provenienzforschung das seit 1998 von den Mitgliedern der Kommission für Provenienzforschung sowie ProvenienzforscherInnen anderer Institutionen erarbeitete Wissen. Der Fokus liegt dabei auf Personen, Orten, Firmen und Institutionen, die in Verbindung mit Museen und Sammlungen, der Kulturpolitik oder dem Handel mit Kunst- und Kulturgegenständen in Österreich zwischen 1930 und 1960 standen. Die Beiträge befassen sich mit dem Vermögensentzug in der NS-Zeit, sie skizzieren individuelle Biografien und Karrieren, dokumentieren institutionelle Zusammenhänge und Strukturen und fragen nach der Rückstellungspraxis in der Nachkriegszeit.

Das Lexikon der österreichischen Provenienzforschung wird laufend erweitert und ergänzt. Ausgehend von knapp 200 Beiträgen, die Anfang 2019 veröffentlicht wurden, sind mit Stand Oktober 2020 bereits 295 Lexikonartikel online abrufbar. Für Ende 2020 ist ein Relaunch der Website geplant, ein Teil der Beiträge wird dann erstmals auch auf Englisch zur Verfügung stehen, 2021 sollen weitere Texte in englischer Übersetzung folgen.

Projektlaufzeit: 2014 bis 2018 (Idee, Konzeption und Projektentwicklung), seit 2019 online, fortlaufende Erweiterung
Finanzierung: Kommission für Provenienzforschung
Projektteam: Pia Schölnberger und Leonhard Weidinger (Konzeption und wissenschaftliche Redaktion bis 2017), Konstantin Ferihumer und Susanne Hehenberger (wissenschaftliche Redaktion seit 2018), Leonhard Weidinger (technische Betreuung), Nick Somers (englische Übersetzungen)
Zur Website des Projekts: www.lexikon-provenienzforschung.org


 

Online-Edition der Karteien zum sogenannten Zentraldepot für beschlagnahmte Sammlungen in Wien

Im Dezember 2017 veröffentlichten die Kommission für Provenienzforschung und das Archiv des Kunsthistorischen Museums (KHM) rund 11.500 Karteikarten, die 1938/39 im sogenannten Zentraldepot für beschlagnahmte Sammlungen in der Neuen Burg in Wien entstanden waren. Die Karteikarten dokumentieren jene vom NS-Regime entzogenen Objekte aus Wiener Kunstsammlungen, die ab Herbst 1938 ins Zentraldepot verbracht wurden und später an verschiedene Museen, u. a. an das in Linz geplante Kunstmuseum, verteilt werden sollten. Bis Juli 1940 verwaltete das Kunsthistorische Museum Wien diese beschlagnahmten Kunstwerke, danach das Institut für Denkmalpflege, das heutige Bundesdenkmalamt (BDA) Wien, das die Karteikarten auch für Verzeichnungen nach 1945 weiternutzte. Grundidee der Online-Edition der Zentraldepot-Karteien war es, die an zwei unterschiedlichen Standorten verwahrten Quellen (BDA- und KHM-Archiv) digital zusammenzuführen und der Forschung sowie der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Quellenedition erbrachte bereits ein konkretes Ergebnis: In Folge der systematischen Durchsicht der veröffentlichten Karteikarten und Fotos konnte ein Pettenkofen-Aquarell, das sich seit 1963 in der Albertina befand, nach 55 Jahren als beschlagnahmtes Objekt aus der Sammlung von Louis Rothschild identifiziert werden. Der Kunstrückgabebeirat empfahl im Juni 2018 eine Rückgabe.

Seit Sommer 2018 stehen die Rahmentexte der Website auch auf Englisch zur Verfügung. 2019 erweiterten rund 400 Karteikarten, die im Zuge von Inventarisierungsarbeiten im KHM-Archiv entdeckt worden waren, die Online-Edition. 2020 erfolgte ein Abgleich mit zusätzlich vorhandenen 122 Fotos unterschiedlicher Herkunft im KHM-Archiv, die einzelne Objekte oder auch Gruppen von Gegenständen aus den beschlagnahmten Sammlungen abbilden. Die Fotos zeigen Gemälde, Zeichnungen, Kunsthandwerk, Waffen und Rüstungsteile, die aus den Sammlungen Aldor, Altmann, Goldmann, Gutmann, Haas, Kornfeld, Kulka, Pilzer, A. und L. Rothschild, Thorsch stammen und offenbar zu unterschiedlichen Zeitpunkten fotografiert wurden. In der Folge konnten zu 170 Objektnummern des Zentraldepots Blogeinträge erstellt und Links zu den mittlerweile in der Online Sammlung des KHM publizierten Fotos gesetzt werden. Mittlerweile und dank der kollegialen Hilfe aus der Forschungs-Community wurden Zusatzinformationen zu rund 600 verschiedenen Objektnummern zusammengetragen.

Projektlaufzeit: Oktober 2015 bis Dezember 2017, redaktionelle Betreuung fortlaufend
Finanzierung: Kommission für Provenienzforschung und Kunsthistorisches Museum Wien
Projektteam: Lisa Frank (Kommission für Provenienzforschung), Susanne Hehenberger (Projektkoordination, KHM), Peter Kloser (KHM), Leonhard Weidinger (Kommission für Provenienzforschung)
Kooperationspartner: Kommission für Provenienzforschung, Kunsthistorisches Museum Wien, Bundesdenkmalamt
Zur Website des Projekts: www.zdk-online.org


Datenbank der Provenienzmerkmale

Die von René Schober und Christina Gschiel entwickelte und seit 2016 durch Julia Eßl betreute Datenbank der Provenienzmerkmale dient der Dokumentation, dem Sammeln und Beforschen von Merkmalen, die sich auf musealen Objekten befinden (z.B. auf Rückseiten/Rahmen von Gemälden und Zeichnungen oder auf Unterseiten von kunsthandwerklichen Objekten). Hierfür werden die bei Werkbegutachtungen (Autopsien) registrierten Funde in Verbindung mit den Daten zu den jeweiligen Trägerobjekten in einer eigens dafür konzipierten Datenbank aufgenommen, die dem Sammeln und Abgleichen von Provenienzmerkmalen zur besseren Idenfizierung von früheren EigentümerInnen und BesitzerInnen dient.
Derartige Funde können beispielsweise sein: Ausfuhrstempel, Firmenstempel, Museenstempel, Ausstellungsetiketten/-stempel, Galerieetiketten/-stempel, Nachlassstempel, Beschriftungen, Inventarstempel, Zahlen/Buchstaben, Ex Libris, Konsignations-
nummern, Zollstempel/-siegel etc.
Durch die online-Zugänglichkeit ist ein schneller Wissens- und Informationsaustausch gewährleistet. Die Datenbank ist registrierungspflichtig, und sämtliche in die Datenbank eingespielte Daten sind ausschließlich dem Kreis der NutzerInnen, die ein berechtigtes Interesse nachzuweisen haben, zugänglich.

Mit Stand September 2020 sind rund 900 Provenienzmerkmale in der Datenbank der Provenienzmerkmale erfasst.

Projektlaufzeit: Mai 2010 bis Dezember 2011, Betreuung fortlaufend
Finanzierung: Kommission für Provenienzforschung
Projektteam: René Schober und Christina Gschiel (2010–2016), Julia Eßl (seit 2016)
Zur Website des Projekts: provenienz.collectiveaccess.eu


 

Der Kunsthandel im Spiegel der Ausfuhrformulare und Ausfuhrakten des Bundesdenkmalamtes 1938–1945 und die Rolle der Speditionen in diesem Kontext

Gemäß dem Ausfuhrverbotsgesetz von 1918 und dem Denkmalschutzgesetz von 1923 unterlag und unterliegt die Ausfuhr wertvollen Kulturgutes aus Österreich strengen Regelungen. Wie gemeinhin bekannt, wurde dieses Gesetz während der NS-Zeit dazu missbraucht, die Ausfuhr von Vermögenwerten Verfolgter zu blockieren. In der Nachkriegszeit wurde dieses Gesetz auch dazu verwendet, den Geschädigten, die nunmehr zum Großteil im Ausland lebten, sogenannte Ausfuhrwidmungen an Museen abzupressen. Insgesamt wurden zwischen 1938 und 1945 rund 18.000 Ausfuhransuchen eingebracht, die weitaus größte Tranche davon 1938. Die erzwungene Flucht der jüdischen Bevölkerung und deren Enteignung sind als Hauptursache für die enorme Zunahme der Ausfuhranträge nach dem „Anschluss“ anzusehen.

In diesem von der Kommission finanzierten Projekt wurden in einem ersten Schritt die Namen der antragstellenden Personen und die weiteren Details in einer Excel-Tabelle erfasst, in einem weiteren Schritt folgte die Auswertung der auf diese Weise erhobenen Daten. Unter anderem zeigte sich, dass sehr große Mengen an Kulturgütern über den österreichischen Kunsthandel nach Deutschland gelangt waren, zumeist an den dortigen Kunsthandel. Wegen der meist nur unpräzisen Objektbeschreibungen in den Anträgen lässt sich im Einzelfall vielfach nicht nachvollziehen, inwieweit es sich um entzogenes oder unter Zwang veräußertes Kulturgut von Verfolgten gehandelt hat. Andererseits deutet aber schon der enorme Anstieg der Antragszahlen auf einen engen Zusammenhang mit den antijüdischen Maßnahmen hin. Als gesichert kann gelten, dass die österreichischen nichtjüdischen Händlerinnen und Händler nachhaltig von diesen Geschäften profitiert haben. Im Rahmen einer Ausweitung des Projekts, werden die in diesem Bericht präsentierten Ergebnisse, um einen wichtigen Aspekt erweitert – die Rolle der Logistikunternehmen (Spedition / Transport, Lagerei und Schifffahrt) in diesem Kontext.

Projektlaufzeit: Phase 1: 2016–2018, Phase 2: 2018–2022
Finanzierung: Kommission für Provenienzforschung, mitgefördert vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Projektteam: Gabriele Anderl und Anneliese Schallmeiner


Grundlagenforschungsprojekt zur „Arisierung“ der Wiener Uhren- und Juwelenbranche

Kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich, am 10. April 1938, stellten Angehörige der Wiener Uhren- und Juwelenbranche die hundert größten Betriebe ihrer nunmehr als jüdisch verfolgten Branchenkolleg:innen in einer zentral koordinierten „Aktion“ unter kommissarische Verwaltung. Sie setzten, trotz zu diesem Zeitpunkt fehlender gesetzlicher Grundlage, damit den Auftakt zur rasanten systematischen „Entjudung“ der gesamten Branche.

Als exemplarische Fallstudie orientiert sich das Projekt an der theoretisch-methodischen Rahmensetzung einer vergangenheitspolitischen Analyse, die sowohl die Rekonstruktion der historischen Ereignisse als auch den nachträglichen Umgang mit diesen in der Zweiten Republik erfasst. Zunächst wird empirisch auf einer mikrosoziologischen Ebene untersucht, wie „Arisierung“ als Form der sozialen Praxis der NS-„Volksgemeinschaft“ verlief und wer hierbei die Akteur:innen waren. In einem zweiten Schritt erfolgt die qualitative Analyse biografischer Fallbeispiele, um zu erheben, welchen vergangenheitspolitischen Umgang die österreichische Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Hinterlassenschaften des NS-Regimes pflegte. Die vergangenheitspolitische Ausrichtung einer Gesellschaft zeigt sich dabei nicht nur auf einer personellen, symbolischen und diskursiven, sondern insbesondere auch auf einer materiellen Ebene, der nicht zuletzt die Provenienzforschung und die Frage nach der Restitution während der Zeit des Nationalsozialismus entzogener Vermögenschaften zuzuordnen ist.

Projektlaufzeit: 2018–2023
Finanzierung: Kommission für Provenienzforschung
Projektverantwortlicher: Konstantin Ferihumer


TransCultAA – Transfer of Cultural Objects in the Alpe Adria Region in the 20th Century

The Commission for Provenance Research acts as associated partner in this research project

This research project is the first attempt to investigate the transfer of cultural assets in the Alpe Adria area in the 20th century. In an unprecedented transnational and collaborative way, it will engage a multinational team of scholars to analyze “Uses of the Past”, in particular historical and current conflicts of ownership, patrimony, and cultural heritage…
Zur Website des Projekts: www.transcultaa.eu